Vertrauen

Manchmal gibt es im Leben einen Moment, an dem du das Gefühl hast, als würde dir der Boden unter den Füßen entgleiten. Als hätte dir jemand den Teppich, auf dem du eben noch gestanden hast, einfach weggezogen. Du kommst ins Wanken, fällst und landest auf dem Boden. Du hast zwar wieder festen Boden unter dir, aber der Aufprall war hart und unangenehm. Und zunächst liegst du da und es tut weh und du weißt nicht, warum dir der Boden unter den Füßen entglitten ist. Du spürst nur Schmerz und Traurigkeit.

Vielleicht erinnerst du dich noch an eine ähnliche Situation, die dich ins Wanken brachte, die dein Innerstes kollabieren ließ, die dich allein zurückließ, mit all den Gefühlen in Brust und Bauch.
Was war der Auslöser? War es die schwierige Nachricht, die du erhalten hast? War es der heftige Streit in Familie oder Partnerschaft?
Es gibt so manche Situationen im Leben, die einem „den Boden unter den Füßen“ wegziehen. Man sagt ja auch „das sei bodenlos“. Meist kommen diese Momente der Bodenlosigkeit unangekündigt, überraschend, lassen uns keine Zeit zur Vorbereitung, liefern uns nahezu schutzlos unseren gebunkerten Stressreaktionen aus. Wenn wir im Bild gesprochen am Boden liegen ist meist eine zeitlich begrenzte Handlungsunfähigkeit die Folge. Wir brauchen Hilfe, um wieder aufzustehen, die Krone aufzusetzen und weiterzugehen. Nicht selten sind wir unsere eigenen Helfer und kommen selbst wieder ins Stehen. Aber es fühlt sich nicht besonders gut an. Alles ist instabil, es wankt, wir fühlen uns einsam und allein gelassen. Da bohrt etwas in unserem Herzen, ein tiefer Schmerz von Verlust, Einsamkeit, Traurigkeit. Der Boden, der sonst für sicheren Stand sorgt, ist nicht mehr! Das unterbewusste Vertrauen, dass mich mein Gleichgewichtssinn auch beim aufrechten Gang in Balance hält, hat für einen Moment versagt.

Eines Abends, so erzählte mir eine Frau, saß sie mit ihrem Ehemann beisammen. Sie war damals jung, sie hatten gemeinsame Kinder, einen erfüllenden Beruf, ein Eigenheim. Die Atmosphäre an diesem Abend war wegen der gedrückten Stimmung des Partners. nicht einfach. Sie ermunterte ihn, doch zu sagen, was der Grund dafür sei. „Das erzähle ich dir später einmal“, sagte der Mann zu ihr. Sie wiederum bat ihn, es doch auszusprechen. Es sei doch vielleicht gerade jetzt der richtige Moment und legte dabei in ermutigender und vertrauensvoller Geste ihre Hand auf seinen Oberschenkel. Nach einigen Momenten brach er das Schweigen und eröffnete, dass es eine andere Frau gibt.

Danach herrschte wieder Schweigen!
Aber in das Schweigen mischte sich Verzweiflung, Ratlosigkeit, Hilflosigkeit. Sie stand auf, ging in den Garten und blickte auf die Kinderschaukel, auf der sonst ihre Kinder mit so viel Leichtigkeit und Freude schaukelten. Heute weiß sie nicht mehr, ob sie tatsächlich zur Schaukel ging oder ob das nur ihr inneres Bild für die abgrundtiefe Bodenlosigkeit war, in die sie in diesem Moment fiel. Sie hatte ihren sonst so festen Boden unter den Füßen verloren, schaukelte und wusste nicht, wann die Schaukel wieder aufhören würde zu schaukeln.
Heute ist die Schaukel aus dem Garten verschwunden, die Kinder sind groß. Das Schaukeln hat aufgehört, der Boden ist wieder sicher. Die Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn sich einem der Boden entzieht, bleibt jedoch. Die Wunden sind verheilt, aber manchmal zeigen sich die gleichen Schmerzen von gebrochenem Vertrauen, Einsamkeit und Trauer, wie damals!

Verwandlung heißt das Zauberwort! Wie kannst du dir die Leichtigkeit und Freude wieder zurückholen? Kann dir das Bild von der Schaukel helfen?

Gestern Nachmittag war es. Es war ein feuchtkalter Nebeltag, ich stand am Küchenfenster und sah auf den Spielplatz hinunter, auf dem kein einziges Kind spielte, das Wetter war so überhaupt nicht einladend. Da trat ein Mann auf, der durch einige mitgeführte Ausrüstungsgegenstände al jemand zu erkennen war, der für Müllbeseitigung und Ordnung zuständig ist. Große Müllsäcke, ein Greifer, eine Harke, so etwas. … Der Mann kümmerte sich nicht um Unrat. Er sah sich um, stellte sein Zeug ab, ging zur Schaukel und sah sie einen Moment an. Dann setzte er sich darauf, wie es jemand tut, der schon lange nicht mehr geschaukelt hat. Es war ein großer und schwerer Mann, er setzte sich ganz vorsichtig. Und nahm dann etwas Schwung und schaukelte. Das wäre bis dahin nicht weiter erstaunlich, man wird ja mal schaukeln dürfen. Aber wissen Sie was, er schaukelte, bis es dunkel wurde, er schaukelte über eine Stunde lang. Mit nur wenig Schwung, ernsthaft und versonnen, mit beiden Händen an den Ketten, wie es sich gehört, und ganz für sich. Dann wurde es dunkel und ich konnte ihn nicht mehr sehen. Er hat seinen eigentlichen Auftrag sicher nicht erfüllt, aber ich nehme seinen Auftritt jetzt gerne als Hinweis – im Dezember einfach mal irgendwo nicht mitmachen und zur Ruhe kommen. Mit wenig Schwung, ernsthaft und versonnen. Ich glaube, das passt so. (Maximilien Buddenbohm www.buddenbohm-und-soehne.de aus „Der andere Advent 2021)

Er schaukelte über eine Stunde lang, mit Hingabe, versonnen. Er nahm sich Zeit und ließ seinen eigentlichen Auftrag für diesen Moment liegen. Wir wissen nicht, ob er ganz im Hier und Jetzt oder in der Vergangenheit war, während er schaukelte. Vielleicht schaukelte er zwischen den Zeiten hin und her. Sicher sah er sich im ständigen Hin und Her der Schaukel auch in seiner Kindheit. Damals fühlte er sich leicht wie eine Feder, die Freude stand ihm im Gesicht und in der Leichtigkeit des Schwebens lag ein tief verwurzeltes Vertrauen. Die innere Stimme hatte ihn an diesem Novembertag zu dieser Schaukel geführt. Und er schaukelte!

Einfach mal irgendwo nicht mitmachen, aussteigen, zur Ruhe kommen, vielleicht meditieren? Vertrauen meditieren!
Oder einfach schaukeln!